the algorithm - part 2
Ist der Algorithmus mein Freund oder Feind? Der Versuch einer (moralischen) Bewertung.
In meinem letzten (Blog-)Beitrag habe ich dargestellt, wieso sich einige (SP-)Bücher bei ähnlichen Voraussetzungen unterschiedlich erfolgreich verkaufen. Ich argumentiere darin, dass es wichtiger ist, vom Amazon Algorithmus (A10) erkannt zu werden, als ein schönes Cover, viele Goodies oder einen guten Titel zu haben. Denn auch das teuerste Lektorat, der beste Buchschnitt und der genialste Content nützen nichts, wenn Amazon und Co. mein Buch auf Seite 29 der Suche „verstecken“.
Aber wie sind Amazon und sein Algorithmus nun einzuordnen? Sollte man sich diesem Diktat des Algorithmus unterwerfen – oder lieber auf Kauf und Veröffentlichung bei Amazon gänzlich verzichten? Dazu ein paar Gedanken.
1. Das Internet und der Algorithmus
Wenn Sie sich auf diese Seite verirrt haben, sind Sie heute wahrscheinlich bereits Opfer eines Algorithmus geworden – vermutlich wie jeden Tag. Denn Algorithmen bestimmen inzwischen einen großen Teil unseres Lebens. Heutzutage werden Ampeln genauso selbstverständlich computergesteuert wie Ihr Auto-Navi, Telekommunikationssatelliten oder industrielle Brotbackmaschinen. Sie alle haben Computerprogramme implementiert, um mit Hilfe von Eingabedaten bestimmte Probleme zu lösen. Ihr Navi soll die schnellste Route finden, die Ampeln einen guten Verkehrsfluss garantieren und die industrielle Brotbackmaschine möglichst wenig verschwenden. Auch im Internet sollen Algorithmen „Probleme“ lösen. Statt einer optimalen Verkehrsroute soll Ihnen zum Beispiel ein optimales Suchergebnis oder ein optimales Produkt angezeigt werden. Darauf greifen Sie immer zurück, wenn Sie bei Google etwas suchen, bei der Bahn online eine Fahrt planen oder bei einem Streaming-Anbieter Musik oder Filme genießen. Wenn Sie Instagram, Tiktok, Youtube, Amazon, Wattpad, Facebook, Ebay oder auch nur die Aldi App nutzen – immer ist es ein Algorithmus, der bewertet, ob ein Artikel für Sie relevant sein könnte oder ob Ihr Angebot für andere relevant ist.
Dabei haben Instagram, Facebook, Tiktok und eben auch Amazon ganz egoistische Gründe für die Bewertung und das Ranking der erstellten Inhalte oder Produkte. Wenn Artikel oder Bilder dabei helfen, Besucher auf der jeweiligen Plattform zu halten, werden diese Beiträge oder Artikel noch mehr Besuchern angezeigt. Dadurch erhöht sich die Reichweite, es folgen mehr positive Bewertungen (Likes), ein besseres Ranking – und in der Folge auch mehr Follower, Abonnenten oder Käufer. Dieses Grundschema ist bei fast allen Internetplattformen identisch. Darauf zu verzichten hieße, praktisch einen Großteil des Internets zu boykottieren.
2. Was ist „relevant“?
Nur die verwendeten Eingabedaten (für die Algorithmen) unterscheiden sich (teilweise stark). So macht es durchaus einen Unterschied, ob ein Algorithmus ein Buch als „relevant“ ansieht, weil 1000 Leser es bereits gekauft haben oder weil 100 Kritiker es für sehr gut befunden haben.
Jetzt könnte man sich natürlich durchaus wünschen, dass der Amazon Algorithmus viel eher auf die Empfehlungen der Nutzer/Leser achtet als auf schnöde Klickraten oder Verkaufszahlen. (Eines der Kriterien ist dies ja auch > siehe vorheriger Blogbeitrag.) Doch auch dieser Wunsch ist mit Vorsicht zu genießen. Natürlich sind mir Empfehlungen von netten Bookies sehr viel wert! Aber wenn nur die Meinung ausgewählter Kritiker entscheidend wäre, dann läge die Deutungshoheit bei wenigen. Und ich habe schon manche fragwürdige Beurteilung bekannter Literaturkritiker im Feuilleton gelesen oder im Radio gehört. Wenn hingegen allein die kollektive Meinung aller Nutzer/Leser als Bewertungskriterium herangezogen wird, ist der Idiotie ebenso Tür und Tor geöffnet und die Dominanz des „Mainstreams“ unumgänglich. Denn manchem Leser fehlt nicht nur das Fachwissen zur „neutralen“ Einordnung eines Werkes – es fehlt schlicht der Wille. Ganz häufig verkommen Nutzerbewertungen allein zu Protest- oder Sympathiebekundungen – entweder 5 Sterne oder 1 Stern, nichts dazwischen. (Schon oft habe ich Klassiker der Weltliteratur mit unterirdischen Bewertungen entdeckt, während kitschige Sprachmonster Bestnoten hatten.)
Es ist also durchaus sinnvoll, dass Amazon versucht seinen Algorithmus mit verschiedenen Eingabedaten zu füttern und die angezeigten Suchergebnisse nicht von der Empfehlung eines Einzelnen abhängig macht. Damit ist der Algorithmus immer noch fehlbar, aber das ist Ihr Buchhändler auch, wenn er Ihnen vor Ort einen Roman empfiehlt. Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass der Buchhändler einen eigenen guten Geschmack besitzt und den Stammkunden vielleicht besser kennt – aber auch das ist kein zwingendes Kriterium. Denn zum einen kennt uns auch der Algorithmus sehr gut, da er unentwegt Daten darüber sammelt, was wir uns anschauen oder kaufen, zum anderen sind auch guter Geschmack und Erfahrung keine Garantien. Wer hat nicht schon mal ein Geschenk von seinen Eltern oder seinem Partner erhalten, das nur so mittelmäßig ankam, obwohl man sich verdammt gut kennt? Wer hat nicht schon einmal eine Film- oder Buchempfehlung von einer Freundin erhalten, die sich als „langweilig“ herausgestellt hat?
Neben der grundsätzlichen Funktionslogik des Algorithmus wird häufig noch die generelle „Verkaufsabsicht“ bemängelt. Die Kritik lautet: „Der Amazon Algorithmus spült nur die Artikel im Ranking nach oben, die sich gut verkaufen, um möglichst viel Umsatz zu machen. Qualität spielt keine Rolle.“ Diese Kritik ist sowohl zutreffend wie falsch ;).
Ja, der Algorithmus bevorzugt Bücher, die häufig angeklickt, gekauft und positiv bewertet wurden. Und ja, Amazon hat eine ganz klare Verkaufsabsicht. Es ist ein Unternehmen mit Gewinnabsicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass Amazon schlechte Qualität anbieten möchte. Ganz im Gegenteil: Amazon versucht (ganz grundsätzlich) seine Kunden möglichst zufrieden zu stellen. Denn nur zufriedene Kunden kommen wieder. Und auf dem Buchmarkt gibt es Dutzende Konkurrenten, die die Bücher aufgrund der Buchpreisbindung zu einem identischen Preis anbieten. Amazon kann es sich also gar nicht leisten, hier nachhaltig Kunden zu verärgern und kämpft daher selbst gegen „Schrott und Betrug“ auf seiner Plattform an.
Dass dies nicht immer schnell und nicht immer durchschlagend passiert, hat weniger mit fehlendem Willen als mit fehlender Kontrolle zu tun.
Gelegentlich wird Amazon als böser Riesenkrake dargestellt, der die Konkurrenz geißelt und aufgrund seiner (vermeintlichen) Monopolstellung Fehlentwicklungen, Betrug und Schrott auf seiner Plattform ignoriert. Und Amazon nutzt seine Marktmacht zweifelsohne. Die Wahrheit ist jedoch auch – um im Bild zu bleiben – dass Amazon inzwischen derart riesig ist und mit so vielen verworrenen Tentakeln zu kämpfen hat, dass eine umfassende Kontrolle kaum möglich ist. Zumal es fragwürdig wäre, wie sinnvoll eine weitergehende Kontrolle und Überwachung der Verkäufer auf Amazon ist. Denn wenn es einen zentralen Missstand gibt, dann den, dass die Händler (oder Autorinnen), die ihre Waren oder Bücher auf Amazon anbieten möchten, zutiefst abhängig vom Internetriesen sind. Sie müssen sich strikten Regeln unterwerfen und sich voll und ganz auf die Funktionslogik des Anbieters (und seines Algorithmus) einstellen. Dabei ist es der Internetkonzern, der die Spielregeln festlegt oder diese variabel ändern kann. Das kann im SP-Bereich so weit gehen, dass bestimmte Themen als „unerwünscht“ eingestuft und Bücher nicht veröffentlicht werden können. In der ersten Hochphase der Coronapandemie 2020 war es daher eine Zeit lang nicht gestattet, Bücher zum Thema Covid-19 über KDP zu veröffentlichen. (Dies geschah sicher in der Absicht, unwissenschaftliche und/oder emotionalisierende Beiträge zu verhindern. Die Lage war bereits genug angespannt… oder ist das doch Zensur?)
Das enorme Machtgefälle, das teilweise rigide Vorgehen, die Steuervermeidung und die Bevorzugung der eigenen Angebote gegenüber Fremdanbietern (trotz schlechterer Preis-Leistung) sind wichtige Punkte, die Amazon als Handelsplatz in meinen Augen abwerten – und mit denen sich der Konzern langfristig selbst schadet.
Darüber hinaus werden nun aber noch häufig weitere (vermeintlich) moralische Gründe angeführt, warum Amazon „böse“ ist und die Buchbranche zerstört. Diese teile ich nicht!
Ich sehe weder das Kulturgut Buch gefährdet noch die Belegschaft bei Amazon ausgebeutet noch Kleinstverlage mehr bedroht, als es ohne Amazon der Fall wäre.
Dazu ein paar „Erfahrungen“ aus der Branche, die ich in den letzten Jahren sammeln durfte:
I. Der kleine Buchhändler meines Vertrauens fühlt sich ebenso von Hugendubel und Thalia (Jahresumsatz 1,2Mrd.) bedroht wie von Amazon! Das sind nämlich genauso knüppelharte Wettbewerber - nur ihr Image ist besser. Erst vor zwei Wochen ist ein interessanter Artikel in der Süddeutschen Zeitung erschienen, der darauf aufmerksam macht, wie sehr die Marktmacht von Thalia innerhalb des stationären Buchhandels steigt. Der Konzern betreibt eine klare Expansionspolitik und verleibt sich kontinuierlich regionale Buchhändler ein. Gleichzeitig werden die kleineren und mittleren Buchhändler auch im Internet immer abhängiger von Thalias IT-Vertriebsplattform sowie dem Tolino Programm. So wird das deutsche Gegengewicht zu Amazon zunehmend selbst zum „deutschen Amazon“.
II. Auch als Verleger agiert Amazon moralisch nicht schlechter als die einheimische Konkurrenz. Denn auch die meisten deutschen Verlage sind weder „gut noch böse“, besitzen aber eine klar erkennbare Gewinnabsicht. Ja, es gibt Dutzende Klein- und Kleinstverlage, die qualitativ hochwertige Nischenprodukte anbieten und „die Hochliteratur pflegen und bewahren“! Es gibt kleine Verleger, die aus Liebe zur Lyrik bewusst Bücher veröffentlichen, die kaum kostendeckend sind, die ihr Herzblut und ihre Geld in schöne Blumen investieren, die sonst nie blühen würden. Doch für diese Kleinstverlage ist Amazon keine echte Bedrohung. Denn ihre Nischen bedient der Riese nicht und ihre Kunden kaufen anders. Sie sind durch größere Verlage bedroht, hohe Kosten, durch fehlende Fachkräfte oder die Tatsache, dass viele Menschen Lyrik „nett finden“ – aber kaum einer Lyrik kauft… Zudem sind diese Klein- und Kleinstverlage, trotz ihrer großen Zahl, absolute Umsatzwinzlinge auf dem deutschen Buchmarkt, der von wenigen großen Playern dominiert wird. Knapp 20 Verlage sind für etwa 70% des Gesamtumsatzes verantwortlich. Wobei die Verlage mit der Ausrichtung „Fachwissenschaft und Bildung“ das Ranking anführen. Unter den großen Publikumsverlagen dominiert die Verlagsgruppe Random House, zu der wiederum zahlreiche Einzelverlage gehören (Blanvalet, Goldmann, btb, cbj, Heyne usw.…). Dabei ist Random House wiederum nur der deutsche Ableger von Random House Penguin, einem Verlagskonglomerat, das für knapp 25% aller weltweit erscheinenden Bücher verantwortlich ist. Random House Penguin ist nun wiederum ein Teil des Bertelsmann Konzerns, zu dem Hunderte weitere Medienunternehmen gehören: RTL Group > 68 Fernsehsender und 31 Radiosender, mehrere Streamingdienste; Gruner und Jahr > Zeitungsverlag mit hunderten Zeitschriften und Beteiligungen z.B. Brigitte, Stern, GEO, Spiegel, Capital; Musikverlag BMG; Arvato Verlagslieferungen; Bertelsmann Printing Group > weltweit größtes Druckunternehmen; uvm. …
Daher gilt der Bertelsmann Konzern schon seit mehr als 30 Jahren als Musterbeispiel für das Schlagwort „Medienkonzentration“. Welche mediale Reichweite ein Konzern mit Dutzenden Radiosendern, TV-Stationen, Zeitschriften, Buchverlagen, Druckereien, Musikstudios, Internetpräsenzen usw. hat, braucht eigentlich nicht extra erwähnt zu werden. Entsprechend sind es die großen Konzernverlage (z.B. Fischer, Goldmann, Piper), die die Buchauslagen der Buchhändler dominieren. Nur sie können sich gewaltige Werbekostenzuschüsse für ihre Spitzentitel leisten und auf allen Kanälen funken. Kleinere Verlage sind hingegen kaum in der Lage, zehntausende Euro an Thalia und Hugendubel zu bezahlen, um eine prominente Positionierung auf den Verkaufstischen zu ergattern.
Diese Erläuterungen sollen zeigen, dass die Tendenz einer zunehmenden „Kapitalisierung und Monopolisierung“, bzw. die Bildung eines Oligopols, kein Phänomen ist, das den deutschen Buchmarkt erst seit dem Auftauchen Amazons betrifft. Der Buchmarkt ist eine normale Wirtschaftsbranche und Verlage sind weder Freunde noch Feinde, sie sind ganz einfach Unternehmen – teilweise eingebettet in große Konzerne. Entsprechend pragmatisch sollte man sie und auch die eigene Rolle als „Wirtschaftssubjekt Schriftsteller“ betrachten – Verlage sind Vermittler, Berater und Kapitalgeber – nicht mehr und nicht weniger. Und so folgen sie den gleichen marktwirtschaftlichen Spielregeln wie (fast) alle andern Unternehmen auch. Dass dies nicht immer angenehm für „Literaturliebhaber“ ist, ist eine alte Lektion. Wie ist das Arbeitspensum einer Verlagslektorin? Und warum verlassen zahlreiche Lektorinnen ihre Verlage nach einigen Jahren, um ihr eigenes Projekt zu starten? Fragen Sie sie mal, wenn Sie die Chance dazu haben.
3. Das Digitale tötet das Analoge
Neben den bereits genannten Punkten existiert bei einigen Mitmenschen die (teils immanente) Furcht davor, das digitale würde dem analogen Buch den Todesstoß versetzen. Das Schreckgespenst, das diese Angst häufig verkörpert, ist dann wiederum Amazon.
Auch diese Furcht sehe ich nicht bestätigt. Es ist unleugbar, dass die Leserzahlen seit Jahrzehnten sinken, da es immer mehr attraktive mediale Angebote gibt. Dennoch ist das Buch noch da – trotz TV, Social-Media, Gaming, Streaming und Co. Und auch der prozentuale Anteil von eBooks steigt in Deutschland nur langsam, wobei ich eBook, Print und Hörbuch grundsätzlich nicht als Konkurrenten, sondern attraktive Erweiterungen sehe. Sie sind für mich eher ein Beweis für die evolutionäre Stärke des Kulturguts Buch, das sich seit Jahrhunderten entwickeln und behaupten konnte. Bookstagram, Whatpatt und Co. sind sogar ein klarer Beleg dafür, wie sehr sich Medien ergänzen können und dass das Interesse am „Klassiker“ Buch eher zu- als abnimmt. Vielleicht sind es gar diese „neuen“ digitalen Medien, welche die lange Phase des modernen Biedermeier beenden und „ein Volk der stillen Rezipienten“ endlich zu einem „Volk der Autoren“ macht.
Wer hingegen um die lange Tradition der deutschen Druckkunst fürchtet, dem sei noch folgende Erfahrung nahegelegt: Als die (große) Buchdruckerei und Buchbinderei, in der ich als Student in Leipzig viele Male gearbeitet habe, mitsamt der halben Branche „leise“ abgewickelt wurde, hat das im Grunde kaum ein Zeitgenosse wahrgenommen. Innerhalb weniger Jahre sind zahlreiche Druckereien und Buchbindereien in Deutschland verschwunden. Da die Verlage Kosten sparen wollten/mussten, wurde die Produktion entweder bei wenigen Riesen gebündelt (siehe Bertelsmann Printing Group) oder nach Osten verlagert. Ganz abgesehen davon, dass industrieller Buchdruck bzw. industrielle Buchbinderei nichts mehr mit dem klassischen Handwerk zu tun hat, kann man sich traditionsreiche Buchkunst heute nur noch bei wenigen Kleinanbietern oder im (sehenswerten) Museum für Druckkunst in Leipzig anschauen.
4. Amazon beutet die Mitarbeiter aus
In meinen 12 Monaten als einfacher, festangestellter Mitarbeiter bei Amazon habe ich nicht einen Kollegen gesprochen, der sich ausgebeutet gefühlt hat. Die mediale Außendarstellung und die Realität wichen hier stark voneinander ab. Im Gegenteil, ich habe als „fachfremde Kraft“ sehr gut verdient, ich hatte nette Kollegen und Vorgesetzte, meine Arbeitszeit wurde minutengenau abgerechnet und jede (freiwillige) Überstunde wurde mit Zuschlägen mit bis zu 200% abgegolten. Außerdem gab es die Möglichkeit, einen Gehaltsanteil in Form von Aktien zu bekommen – was mich mit 45 zum Frührentner gemacht hätte, wäre ich dabei geblieben. (Die Aktie ist in den letzten 11 Jahren stark gestiegen.) Meine Frau hingegen wurde für eine ähnliche Tätigkeit bei einem Zwischenbuchhändler viel schlechter bezahlt (-30%), hatte schlechtere Arbeitszeiten und deutlich mehr Druck und Überwachung – ohne, dass dies je in einer Zeitung thematisiert worden wäre… Natürlich ist die Arbeit anstrengend, gerade als „picker oder stower“ gilt es jeden Tag einen Halbmarathon in möglichst guter Zeit zu absolvieren – das ist monoton und mühsam – unterscheidet sich aber auch nicht von Hunderten anderen(stressigen) Jobs in Industrie und Landwirtschaft. Wie unzufrieden die Beschäftigten wirklich sind, sieht man bei den gelegentlichen Streikaktionen – selten beteiligen sich mehr als 15% der Belegschaft.
Fazit:
Es ist selbstverständlich Unsinn, Amazon von allem reinwaschen zu wollen. Allein Amazons Steuervermeidungspolitik ist zwar legal, aber unanständig und die beinahe Monopolstellung gefährlich. Es ist ein multinationaler Konzern mit Gewinnabsicht. Genauso blauäugig wäre es jedoch, blind jede Kritik zu glauben oder gar anzunehmen, andere große Verlage und Buchhandelsketten wären nicht gleichfalls gewinnorientiert.
Ebenso ist es zulässig, den von Amazon eingesetzten Algorithmus zu kritisieren. Man sollte sich jedoch auch hier im Klaren darüber sein, dass ganz ähnliche Algorithmen im Internet quasi allgegenwärtig sind. Somit bleibt dieses Fazit womöglich ambivalent oder eklektisch – und passt damit zu der alten Erkenntnis, dass die Wahrheit selten schwarz oder weiß ist.
T. Martin, Januar 2022